für Klavier und vierkanalige Zuspielung
Dauer: 11'50"
UA: 12.1.2006 Freiburg, Musikhochschule, Sebastian Berweck, Klv.
Einspielung von Sebastian Berweck:
Konzertmitschnitt Haesung Yoon
Klavierstück 5 ist auf der CD "extended piano" von Sebastian Berweck bei Huddersfield Contemporary erschienen.
Programmtext
Mit hochwertigen Klaviersamples kann, täuschend echt, der
Klavierklang nach innen (ins Mikrotonale) und nach außen
(über den Ambitus der Tasten hinaus) erweitert werden.
Transponiert man Samples von Klaviertönen extrem tief nach unten,
klingt nur noch ein Brummen. Transponiert man sie extrem nach oben,
entsteht Rauschen. Die beiden Extreme ähneln in ihrer
Geräuschhaftigkeit einander – das Ganze lässt sich zu einer
Schleife verbinden.
Einen audiblen Kreis kann man auch durch Raumbewegungen ziehen (mittels
quadrophoner Lautsprecher-Aufstellung im Konzertsaal, auf CD immerhin
noch als Stereo-Panorama).
Wird der Tonhöhenkreis der Samples an den Lautsprecherkreis im
Saal gekoppelt, befindet sich an jeder Position im Raum ein bestimmter
Tonhöhenbereich. Logisch ist in dem Fall: Der Bühne mit dem
realen Klavier sind die Töne A-2 bis c5 zugeordnet, links davon
wird es dann immer noch tiefer, nach rechts immer höher, hinter
dem Publikum sind die geräuschhaften Ränder.
Bleibt ein Zusammenklang stehen, bleiben seine Einzelteile an ihren
Raumpunkten stehen: Der Klang installiert sich.
Der Pianist kann spielen wie eine MIDI-Wiedergabe: mechanisch.
Schließlich kann aus dem geräuschhaften Bereich der extremen
Transpositionen alles Mögliche in die normale Lage
rücktransponiert werden. Jedes Sample klingt extrem hoch und
extrem tief nur noch indifferent. Im weiteren Verlauf des Stückes
erscheinen aus dem Grau von oben und unten: Zitate aus Schönbergs
und Boulez’ Klaviermusik, Aufnahmen aus dem Supermarkt,
Fußballfans, das eigene Stück, meine Stimme, Unkenntliches.
Die meisten Komponisten zitieren Beethoven und Brahms, ich pflege
anderes zu zitieren.
Ist ein Klaviersample schon ein Zitat?
Wenn das eigene Stück als vorproduzierte Aufnahme zitiert wird,
kann diese auch wieder hoch- und tieftransponiert werden, mit den oder
gegen die schon vorhandenen Transpositionen.
Man kann durch das eigene Stück spulen: ganz an den Anfang
zurück (wo hat das Stück denn seinen Anfang?) und weiter vor,
in seine Zukunft. Das Spulgeräusch ist selbst wieder musikalischer
Klang, der Pianist spielt ähnlich Klingendes; und es folgt
natürlich das Spulen des Spulens und so weiter, eine
Rückkopplung.
Das Ganze geht aber doch immer weiter, dank der Inkonsequenz und
technischer Mängel (Qualitätsminderung bei den
Reproduktionen). Die Kreise drehen sich zu Spiralen auf oder
löschen sich aus.
Immer wieder Stellen, an denen sich Details vordrängen. So ist das
Leben.
Leitsatz für das Komponieren war: „Die Differenz von Medium und
Form wird ihrerseits medial“ (Niklas Luhmann, Das Medium der Kunst).
Geht auch als Hör-Leitsatz.
Das Stück wurde mal in einem Schreibworkshop als Vorgabe
abgespielt, zu der die Teilnehmer einen unmittelbaren Erlebnisbericht
schreiben sollten.
Auftragswerk für das "Projekt DSP" an der Musikhochschule Freiburg 2005
Klavierstück 5 wurde von Martin Tchiba eingespielt.
Die Reihe der Klavierstücke:
Klavierstück 1
Klavierstück 2
Klavierstück 3
Klavierstück 5
Klavierstück 6
Siehe auch:
Text Kunst muss verdächtig sein (von Thomas Groetz)