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Johannes Kreidler Komponist

Der "Weg der Verzweiflung" (Hegel) ist der chromatische. (2011/12)

für neun Instrumente, Audio- und Videozuspielung

(Violine, Cello, Flöte/piccolo, Klarinette/Bassklarinette, Gitarre, Posaune, Klavier, 2 Schlagzeuger)

Dauer: 15'30''

UA: 20.10.2012, Donaueschinger Musiktage, Nadar Ensemble, Daan Janssens, Ltg.

Weitere Aufführungen:

4.4.2013, Saal des Radio Nacional Córdoba, Argentinien / SUONO MOBILE argentina, Christof Löser, Ltg.
1.6.2014, DePaul University School of Music, Chicago, Student Ensemble
22.11.2014, Projektgruppe Neue Musik Bremen, Nadar Ensemble
28.1.2015, DeSingel Antwerpen, Nadar Ensemble
18.9.2017, Warschauer Herbst, Spoldzielnia Muzyczna Ensemble
2.12.2017, Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart, werk_statt_festival des Studios Neue Musik, Studierendenensemble, Christof Löser, Ltg.
7.11.2018, Hochschule für Musik Dresden, Studierendenensemble
28.9.2019, ZeitGenuss Festival Karlsruhe, Ensemble Mosaik, Enno Poppe Ltg.
29.9.2020, Musica Strasbourg, Ensemble Mosaik, Lennart Dohms Ltg.
12.10.2020, Musikakademie Basel, Studierendenensemble, Jürg Henneberg Ltg.

Nadar Ensemble, Daan Janssens Ltg. // Uraufführung Donaueschingen 2012

 

Ensemble Mosaik, Lennart Dohms, Ltg. // Musica Festival Strasbourg 2020

Radio-Version (ohne Video)

Partitur

Auftragswerk des SWR für die Donaueschinger Musiktage.

Der "Weg der Verzweiflung" (Hegel) ist der chromatische. ist auf der Jahrgangs-CD der Donaueschinger Musiktage des Südwestdeutschen Rundfunks bei NEOS erschienen.

 

Programmtext

Eigentlich müsste nicht nur mein Name als Autor dranstehen, denn das meiste habe ich vom Computer komponieren lassen (Zufallsgeneratoren kann man Subjektivität zugestehen); ich habe nur geeignete Resultate ausgewählt. Selber wäre ich auf sie nicht gekommen. Und dann sind da haufenweise Fremd-Samples aus Audio- und Videoarchiven – Musik mit Musik; ich wollte mitunter durchschnittliche oder sogar schlechte Musiken haben, die daher als Medium taugen. Man muss „Material“ als ungenügend empfinden, sonst hätte man doch keinen Anlass, daraus etwas zu machen. Das ist die Definition von „Material“.

“Dass es noch einmal Eigentum an ‚Ideen’ und den Versuch geben würde, dieses Eigentum juristisch zu schützen, das hätte sich Plato nicht träumen lassen.” (Günter Anders) Die Samples sind ohnehin nur die Oberfläche, das viel größere Sampling ist das der gesellschaftlichen Kräfte. Der einzelne Komponist wäre viel zu schwach, um Kunst zu schaffen; er ist immer auf externe Energien angewiesen, auf die Eigendynamiken von Widersprüchen, die latent und noch diffus umherschwirren, von denen im Werk etwas erfasst und isoliert wird.

Hauptthema des Stückes sind Tonhöhenbewegungen nach oben und nach unten (oder in Richtung scharf und dumpf, wie die alten Griechen sagten), die emotionalen Wirkungen, die diese Verläufe fast zwingend haben, selbst wenn sie völlig technisch konstruiert sind, oder gerade dann. Ich habe den Computer davon viele erstellen lassen, sozusagen mathematische Traurigkeiten und algorithmische Emphasen. Emotionsgehörbildung. Sinustonexpressionismus. Es gibt bei Bach und Vivaldi gegen Ende größerer Abschnitte manchmal pure Tonleitern als Melodien, und sie haben die reinste Wirkung: Die Struktur spricht.

Lachenmann-Remix, jetzt mal ernsthaft. Und warum wird heute so viel Xenakis gespielt? Weil Xenakis alltäglich bei Google wiederkehrt. Eine Google-Suche ist strukturell von Xenakis’ Musik kaum unterscheidbar. Man spricht ja auch von Software-Architektur. Das bedeutendste Requiem des 20. Jahrhunderts stammt nicht von Britten oder Ligeti, sondern hat Max Matthews komponiert. Es erklingt in Stanley Kubricks Film 2001, als der sterbende Computer anfängt zu singen.

25 Posaunen, 108 Klaviere, kein Problem. Wenn ich 30 Gitarren brauche, nehme ich sie mir: Ich nehme sie auf, als Audio und Video.

„Der Weg der Verzweiflung“, das klingt pathetisch, aber Hegel meint damit in der Vorrede zur Phänomenlogie des Geistes, dass durch den Zweifel hindurchgegangen wird, man ein Mal komplett ver-zweifelt. Hegels Logik ist zutiefst emotional. Diese Verquickung halte ich nicht nur für vorbildlich, sondern auch für ästhetisch.

 

 

 

 

 

Essay-Analyse von Gordon Kampe in den MusikTexten 146

Betrachtung von Stefan Hetzel

FAZ / Saarbrücker Zeitung / Badische Zeitung / Südwest-Presse / Presseschau

 

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