Zum Musiktheater Feeds. Hören TV.
Erschienen in: Musik mit Musik
Frühere Fassung in: Programmheft zu "Feeds. Hören TV"
1.
Da praktisch alle Klänge ausgeforscht sind, und auch aus ihren
Kombinationen sich immer mehr bekannte Muster herauskristallisieren,
setzt Objektivierung ein: Topoi, Idiome, Standardsituationen,
Versatzstücke, Simulakren. Die kann man als solche nutzen, sie zum
Medium erheben / degradieren / verschieben: Musik mit Musik.
Nun ist nicht alles gleich Vokabel. Aber man kann ja auch
eigenhändig Musik semantisieren, durch andermediale Erweiterung:
Sprache, Video, Inszenierung. Eine Aufgabe und Potenzial fürs
Theater: Klängen Namen geben.
2.
Schon als Jugendlicher hatte ich die Idee für ein
Klavierstück in fünf Sätzen, die alle die gleichen Noten
haben, aber der erste Satz trägt einen
philosophisch-religiösen Titel, der zweite einen abstrakten, der
dritte einen privat-amourösen, der vierte einen ironischen und der
fünfte keinen.
Ähnliche Filmexperimente sind bekannt: Zur Aufnahme eines Mannes,
der ein Haus betritt, lässt man Alltagsmusik, Horrormusik,
Slapstickmusik etc. erklingen. In jedem Fall ist es eine andere
Handlung.
In einem psychologischen Test
wurden Probandinnen Matheaufgaben zu lösen gegegeben; man teilte
die Testpersonen
per Zufallsgenerator in zwei Gruppen, und eine Gruppe erhielt
zusätzlich einen
angeblichen wissenschaftlichen Text, in dem erläutert wurde, dass
Frauen
erwiesenermaßen nicht rechnen könnten. Diese Gruppe schnitt
wesentlich
schlechter ab.
Mein
Stück Fremdarbeit, bei dem ich Komponisten aus
Billiglohnländern für
mich habe komponieren lassen, moderiere ich, um das Konzept den
Hörern wissen
zu lassen. Bei der Uraufführung war ich tendenziell herablassend
und ironisch,
und prompt urteilten die meisten, dass die Auftragsmusiken auch
schlecht waren.
Bei der zweiten Aufführung musste ich englisch sprechen und war
viel
sachlicher, und das Publikum fand die Stücke gelungen.
3.
Der Neue-Musik-Evergreen also: Musik und Sprache! (Auch die
Kommentarbedürftigkeit moderner Kunst (Arnold Gehlen).) Mit
sprachlichen Mitteln wird die Musik be-zeichnet, kontextualisiert, das
Hören justiert. Das kommt aus der Tradition der Präparation:
John Cage begann in den 1940ern, das Klavier im Innenraum mit allerlei
Gegenständen derart zu präparieren, so dass gänzlich
andere Klänge hervorkamen. In das Instrument wird eingegriffen,
bestimmte Dinge herausgefiltert und voneinander getrennt. Das kann man
durchaus als aggresiven Akt ansehen, die Manipulation, die
Denaturierung.
4.
Die musikalische Wahrnehmung verbal einzugrenzen ist absolut
verpönt. Man will ja unvoreingenommen hören. Wir wollen aber
kanalisieren, schließen, fixieren. Damit sind stärkere
Wirkungen möglich als mit den immer kleinteiligeren
Materialkombinationen im Neue-Musik-Duktus (:
anstrengungslos-begriffslos). Denn möglich ist dann erst mal viel:
5.
Jedes Medium kann gebraucht werden. Die Klarinette in
pianissimo-Septolen ist nicht von vornherein besser als die vier
Akkorde einer Rockband. Im Musiktheater kann es nicht vornehmlich um
Strukturhören gehen.
6.
In Feeds geht es um das
Hören schlechthin – nicht um Politik, nicht um Liebe, nicht um
Musik. All das kommt aber vor, es dient dazu, das Hören zu
erschweren. Insofern geht es um das Hören. (Aber Informationen
schaden nicht.)
Diese Themen sind Ballaststoff, Aufhänger, Mittel zum Zweck,
Ideen, Beispiele, Kommunikationsmedien. Das ist aber auch etwas
Inhaltliches: die Entweihung (vergifteter Mozart!). Wir wollen hier ja
auch ein Neues Musiktheater - Medium schaffen.
7.
Beispiel Politik: Politik ist zu einem hohen Grad Konsumgut. Das
meiste, worüber man in den Nachrichten liest, berührt das
eigene Leben nicht. Es passiert in der Welt ja auch immer gerade so
viel, wie in fünfzehn Minuten Tagesschau-Komposition passt.
Politik ist medial auch für uns: Medium. (Mit der Musik ist es
heute wie mit der linken Avantgarde: Am schönsten ist sie als
Konzept.)
8.
Vielleicht sind manche Inhalte doch auch Herzensangelegenheiten.
Identifikation ist möglich. Nicht alles ist uneigentlich (was?),
nicht alles ist Medium für etwas anderes. Die
Kommunikations-Überwachungsmaßnahmen der CDU sind eine
Katastrophe, ich habe wirklich Tinnitus, et cetera. Und es geht ja auch
ganz konkret ums Hören.
9.
Auch dieser Text trägt noch seinen Teil bei, unsynchronisiert: Die
einen werden ihn noch vor der Aufführung lesen, die anderen
währenddessen, oder erst danach. Er ist eine frei begehbare
Installation.
10.
Was für ein Hören ist das, das verbal sensibilisiert,
bekräftigt, gestützt, fokussiert, gelenkt, gegängelt,
verwirrt, hintertrieben, malträtiert wird? Zwangsbegleitete
Melodien, Verfremdungseffekte, Denaturierung. Differenz zwischen dem
Hören und dem Gehörten; sie bilden Akkorde.
September 2010